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Historische Buchbesprechungen zu Maragrete Boies Roman






Margarete Boie schreibt an Hans Johler über eine an sie per Brief gerichtete Buchkritik:
"19.1.1931. ...nur in Eile mitten aus der Arbeit heraus: Soeben bekam ich einen Brief von einer ganz Fremden: "Ich besitze und liebe seit langem ihren "Sylter Hahn", nun las ich den "Dammbau". Ich bin, das möchte ich sagen, nicht enttäuscht worden. Die Gestalt des Baumeisters ist wundervoll, meine ganze Liebe aber gehört dem Dammbaupastor! Wie er mit seinem unverwüstlichen Idealismus immer wieder an die schwersten P r o b l e m e herangeht und sie durch praktische M e n s c h l i c h k e i t zu lösen sucht und versucht, ist wirklich herzerhebend.!" - Ich muß Ihnen das schnell erzählen, weil ich dies gerade ja nicht hätte schaffen können, w e n n ... S i e ... e s ... n i c h t ... v o r h e r ... g e l e b t hätten!

Herzl. Grüße! Ihre M. Boie."


Für Margarete Boie ist der Morsumer Pastor Hans Johler Vorbild für ihre Romanfigur des Pastors Peter Boy Eschels.


Zum Namen der Romanfigur Pastor Eschels:
Peter Boy Eschels nennt Margarete Boie den Morsumer Pastor Hans Johler in ihrem Roman Dammbau. Der Name Eschels ist keine Fiktion, sondern steht tatsächlich für eine alte Morsumer Familie. Hans Johler stand in gutem Konkakt zu einem von ihnen. Peter Boy Eschels (* 1.9.1848 in Morsum, +24.2.1922 in Morsum) lebte als Bauer in Morsum Osterende. Er war verheiratet mit Carolina Christina Bleicken (*26.8.1865 in Morsum, +12.7.1918 in Morsum). Beide hatten keine Kinder. Er schrieb über viele Jahre Tagebuch und wird deshalb in heutigen Datenbanken auch als Heimatforscher bezeichnet. Der Blick ins Vergangene mag das besondere Interesse des Pastors an ihm begründet haben. Hans Johler war ja auch Familienforscher und stellte eine umfangreiche Dokumentation zusammen, deren Ergebnisse auch in dieser Website ihnen Niederschlag finden.

Eschels Tagebücher sind nach seinem Tod zusammen mit dem Haus, in dem er wohnte, bei einem Brand vernichtet worden.


Hans Johler in seiner Grabrede für Peter Boy Eschels
gehalten am 2. März 1922 in Morsum (Nach einem Artikel in der Sylter Zeitung, Auszüge):
"Das hohe Alter von reichlich 80 Jahren war dem teuren Toten beschieden. Welcher Fremde die hochgereckte, ehrwürdige Gestalt etwa in der Kirche sah, erkundigte sich weiter nach ihm. Unvergesslich war und ist es mir, wie ich ihn zum ersten Mal sah, es war gerade heute vor neun Jahren. Unvergessen wird er Euch allen bleiben, die Ihr ihn als einen der Ältesten von klein auf gekannt habt, und der unter uns wandelte wie ein Patriarch.- Warum ist sein Leben etwas so Besonderes? Nicht allein des hohen Alters willen, sondern der großen Dankbarkeit willen mit der er sein Leben von Jugend bis ins hohe Alter hinnahm aus Gottes Hand. Uns allen ist viel gegeben, für das wir zu danken hätten, aber wie wenig dankbaren Sinn zeigen wir? Er dankte Gott für alles! Gott hat ihn mit reichen Gaben ausgestattet, Körpers und der Seele. Kraft und Gesundheit war ihm in seltenem Maß verliehen, und seine erste Medizin wurde auch seine letzte Medizin. Seine Geisteskraft war staunenswert, seine Belesenheit, sein Gedächtnis bewundernswert. – Für solche großen Gaben dankte er Gott wie für alles im täglichen Leben, und die Liebe, die er von Gott erfuhr, ließ er wiederum seinen nächsten in reichem Maß zuteil werden. Sein äußeres Leben vollzog sich in großer Stille. Seine Mutter pflegte er aufopfernd bis zu ihrem Tod. Seine Frau, mit der er die silberne Hochzeit feiern durfte, ging ihm schon vor einigen Jahren, trotzdem sie erheblich jünger war als er, im Tode voran. Kinder waren ihm nicht beschieden. Er aber nahm das verwaiste Geschwisterpaar, seinen Neffen und Nichte, an Kindes statt an. Im letzten Jahr war es ihm noch vergönnt, die Hochzeit seines Neffen und Erben mitzuerleben. Er dankte Gott und liebte seinen Nächsten nach dem Worte Gottes rein und lauter. Darum war es sein Bekenntnis, was wir auf seinen Wunsch soeben gesungen haben: "Gott hat in meinen Tagen mich väterlich getragen von meiner Jugend auf."Ja, wie er sich selbst von Gott getragen wusste, so trug er die Seinen in steter Herzlichkeit. Und das hat außer seinen nächsten Angehörigen ein weiterer Kreis Menschen erfahren. Mit Rat und Tat war er in aller Stille ein Freund der Armen. – Von Beruf war er Landmann, und seine bäuerliche Stelle nährte ihren Mann. Darum war er der Nahrungssorgen enthoben. Im eigentlichen Beruf war er als Privatgelehrter anzusprechen. Täglich saß er viele Stunden bei seinen vielgeliebten Büchern. Vor allem studierte er das Buch der Bücher, die Heilige Schrift, und viele fromme Werke. Sodann war es die Geschichte der Heimat, die Vergangenheit der Insel, an der er mit ganzer Seele hing. Glaube und Heimat, das sind die zwei Pole, um die seine Gedanken kreisten. – Wie sein Leben, so war sein Sterben friedlich. Ein längeres Krankenlager und harter Todeskampf blieben ihm erspart. Wohl fühlte er das Ende nahen, dass für ihn kein Schrecken war. Aber doch brachte er es fertig, bis zuletzt sein Tagebuch zu führen. Erst der Tod nahm ihm Buch und Feder aus der Hand. – Im Rückblick auf sein Leben bekannte er: "An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd, was Christus mir gegeben, das ist der Liebe wert." Er war allzeit bescheiden und von Herzen demütig. Als sterblicher Sünder beugte er sich in Demut vor Gott, und Gottes Gnade war die Sonne seines Lebens. Auf dem letzten Wort unseres Textes "erretten" liegt der Hauptton, was auch der Entschlafende wohl erkannte. Er wusste, dass die Seele des Menschen der Errettung bedarf, und er war im Glauben an die in Christo erschienene Gnade selig. Darum leuchteten seine Augen, wenn er sonntäglich in andächtigster Haltung in der Kirche saß, von innerem Glanz. Und stiller Friede war über sein ganzes Angesicht ausgebreitet, im Leben und auch noch im Sterben. Nun ruhe er in Gotttes Frieden! Uns aber laßt sein Gedächtnis in Ehren halten! Amen."



Diese Besprechung schickt Hans Johler aus Hamburg an seine Frau Elwine in Flensburg und seine Schwiegermutter Elwine Ude in Lübeck in der Schillerstraße 8, nachdem er mit seiner Familie Morsum verlassen musste.
"Euch lieben beiden Elwine Frau und Mutter, kann ich heute die erste Kritik des Romans , der mein Leben rechtfertigt, schicken."

Buchbesprechung von Curt Kohlmann in der "Lese", Köln, ca. 6.9.1930:

Margarete Boie "Dammbau". Im Januar 1928 behandelte unser Leitartikel das ragende Werk der Sylter Dichterin, die in ihren Büchern: Der Sylter Hahn, Moiken Peter Ohm, Bo der Riese, Die treue Ose, Die letzten Sylter Riesen - eine umfassende Geschichte der friesischen Insel und ihrer sturmgewohnten, harten Bevölkerung geschrieben hat. Mit dem vorliegenden Roman "Dammbau" krönt sie abschliessend ihr Werk und enthüllt noch einmal ihre verständnisvolle Liebe für den eigenwilligen Volksstamm, der kantig und knorrig die Jahrtausende überdauerte, um nun doch dem Geschick aller Ursprünglichkeit auf dieser Erde zu verfallen: aufzugehen in ein größeres Ganzes. Wie sich die prachtvollen Friesengestalten gegen die neue Zeit, die sich ihnen in dem Dammbau verkörpert, der die Insel enge mit dem Festland verbinden soll, stemmen, um doch zu unterliegen. Das ist von erschütternder, tragischer Wucht. Niemand kann sich der Bitternis dieses Geschehens entziehen, zumal die Autorin mit überragender Meisterschaft die in den Dammbau verwobene Tragik eines Einzelschicksals, des letzten Morsumer Pfarrers, als Verstärkung der Bitternis des Gesamtgeschehens zu malen versteht. In allen Nerven spürt man beim Lesen dieses bedeutenden Kunstwerkes, welch eine zermalmende Cäsur das Jahr 1918 in das Leben aller Zeitgenossen brachte, und wie sehr es notwendig ist, sich so oder so damit abzufinden., das Buch verdient wärmste Empfehlung.







Kritik des auf Sylt aufgewachsenen, in Hamburg literarisch berufstätigen Thomas Hübbe in den Hamburger Nachrichten vom 22.11.1930::

Dammbau
Dieser Roman ist der Schlußstein des Baues, den Margarete Boie in die nordfriesische, nämlich syltische Literatur mitten hineingestellt hat. Zehn Jahre hat sie unter den Syltern gelebt, hat die Sylter Geschichte und Sage studiert, eifrige Quellenforschung betrieben, Land und Leute kennen, verstehen und lieben gelernt - und all dem Geschehen den Odem des echten Künstlers eingehaucht: des Künstlers, nicht der Künstlerin. Denn Margarete Boie schreibt sachlich nach Mannesart. Sie hat nun Sylt verlassen; aber in den zehn Jahren hat sie uns eine Reihe von Arbeiten geschenkt, die uns die Sylter Art kennen und verstehen lehren. Ich erinnere an ihre Raomane "Der Sylter Hahn", "Moiken Peter Ohm", "Die letzten Sylter Riesen", "Waal - Waal" - die alle in diesem Blatte ihre Würdigung gefunden haben. Was sie nicht nur den Syltern, sondern uns Deutschen schlechthin gegeben hat, das wird man erst in späteren Zeiten ganz ermessen. Sie hat die schon schlafende Chronik dieser überaus interessanten Insel nach langem Interregnum wieder aufgenommen, in einer Form, daß auch der Nichtforscher es lesen mag. Sylter selbst tun das nicht; da müssen Freunde helfen. Wie stark ihr Können ist, möge man aus diesem ihrem Sylter Schwanengesang erkennen.
Vom Festlande nach Sylt wird ein Damm gebaut, der "Hindenburgdamm". Welch eine Dastellungskraft, welche Phantasie gehört dazu, diesen Klei und Schlick und dieses Gestein mit dem Kunstgewerbe eines Romans zu umspinnen! Margarete Boie hat es fertig gebracht, freilich mit einer Einschränkung: das übliche Liebespaar des Romans figuriert vornehmlich nur einseitig, und dazu im wesentlichen negativ. Der Dammbau: das ist es, worauf es ankommt, und um den sich alles dreht; und der auch die Entwicklung der Liebesgeschichte nicht fördert, sondern unheilvoll verzögert.
Das Dorf Morsum auf Sylt ist es, wo sich alles abspielt, das Dorf, das dem Damm zunächst gelegen ist. Die Morsumer wollen den Damm nicht; sie empfinden ihn als Störung ihres geruhsamen, anspruchslosen Daseins - nicht mit Unrecht. Nun sind die Hauptpersonen des Ganzen der von der Regierung beauftragte Baumeister des Dammes und der Pastor der Gemeinde Morsum. Im Gefolge des Baumeisters steht das Heer der festländischen, jedem Pastorale abgeneigten Arbeiterschaft. Der Pastor dagegen, als "unser Pastor" von der Gemeinde empfunden, wird von dieser gedrängt, mit ihr gemeinsam den Dambau zu verhindern. Er aber sieht weiter. Er sieht, daß der Damm unabweislich komt, und rät der Gemeinde, sich darauf einzustellen. Was für die Einheimischen das schlimmste ist: er erblickt in den Massen der binnenländischen Arbeiter auch Seelen, die seiner Fürsorge anvertraut sind. Das lassen sich die Morsumer nicht gefallen, und so formt sich der Konflikt des Romans. Indessen: der Damm wird gebaut, die ungeheueren technischen Schwierigkeiten bilden das Hauptthema des Romans, nicht minder aber die souialen zwei Welten stoßen hier zusammen; ihr Opfer ist der Pastor. Er muß weichen. Die Morsumer haben ihn gestürzt; aber als er gehen muß - er, der selbst ein Morsumer Kind ist - da haben sie das alles "nicht so gemeint". Der Kenner dier Dinge darf hier verraten, daß dies tatsächlich das Schicksal des letzten Morsumer Pastors gewesen ist. Nur gibt Margarete Boie ihm in ihrem Roman einen anderen Namen; und zwar den eines noch heute lebenden, christlich gläubigen Mannes von Morsum.





Buchbesprechung von Prof J. Malthaner in der University of Oklahoma Press, April 1931:

Dammbau
Mit Liebe und feinem Verständnis malt M. Boie den Kampf , der einsetzt zwischen der alten Generation mit ihrer gerechten, würdevollen und selbstzufriedenen Art und der ruhelosen jungen Generation mit ihren neueren Begriffen und abweichenden Anschauungen. Zwischen dem alten und dem Neuen steht die heroische Figur des Morsumer Pastors, der sich aufopfert im selbstlosen Bemühen, um seinen Leuten ein Führer zu sein und zugleich das Beste an ihrer Eigenkultur zu retten. Die Erbauung des Dammes gestaltet sich zum Symbol von Deutschlands Kampf nach dem Kriege. Zugleich gibt das Buch eine interessante und wertvolle Darstellung der Sylter Eingesessenen, und der klare Stil wie die straffe Handlung machen die Erzählung angenehm lesbar.






Buchbesprechung aus dem Hamburger Fremdenblatt vom 29.4.1931:

Margarete Boie: Dammbau. Sylter Roman aus der Gegenwart. Verlag J.F. Steinkopf, Stuttgart.
Die Wirkung des Dammbaues auf die Bevölkerung Sylts, die mit diesem Bau aufgehört hat, eine Insel zu sein und zu dem Festland, zu dem sie ursprünglich gehörte, zurückgekehrt ist, mußte tiefgreifend sein, konnte aber nur von einem Schriftsteller geschildert werden, der so innig mit den Inselfriesen verwachsen ist wie Margarete Boie. Der vorliegende Roman beweist denn auch, daß sie die Eigenart ihrer Landsleute zu packen und zu schildern versteht. Es war ein guter Gedanke, den Dammbau als ein Symbol des Wiederaufbaues Deutschlands zu fassen und an ihm wie an einem Beispiel zu schildern, welchen Hemmnissen und Widerständen beide begegnen. Das schlimmste, das klingt auch aus diesen vortrefflichen Erzählungen heraus, sind die i n n e r e n F e i n d e. Und wie der Vorkämpfer für diesen Damm zerbricht an dem Widerstandseiner eigenen Heimatgenossen, so hat auch Deutschland am schwersten zu kämpfen wider die eigenen Landgenossen. Auch Deutschland hat seine "Morsumesen", wie Pastor Eschels, der Held dieses Romans, diejenigen unter seinen Morsumer Dorfgenossen nennt, die unbedingt am Alten hängen und ihn deshalb hassen, weil er unter gewissen Vorbehaltenfür das "Neue" eintritt. Die Typen dieser Inselfriesen sind prachtvoll wiedergegeben, allerdings werden ihre Originale nicht allzu froh über diese Darstellung sein, denn sie werden nicht etwa als die Vertreter einer großzügigen Auffassung der friesischen Stammesart geschildert, sondern als die Verteidiger eines kleinlichen Dorfegoismus, einer bösen Klatschsucht, die sich nicht scheut, aus Vermutungen eine Anklageschrift gegen ihren eigenen Pastor zusammenzudichten und seine Absetzung vom Landeskirchenamt zu fordern. Diesen gegenüber steht die prachtvolle Figur des Pastor Eschels, der sich aus Heimatliebe und Freude über den Dammbau für die ärmliche Dorfpfarre von Morsum gemeldet hat und seine ganze Energie daransetzt, seine Dorfgenossen, zunächst die Morsumer, dann die ganze Sylter Bevölkerung, aufnahmefähig für das Neue zu machen, das der Damm bringt. Man möchte ihn den "letzten Friesen" nennen, und schon aus diesem Grunde verdient der Roman Beachtung. Wir hoffen, entgegen dem Pessimismus der Verfasserin, daß es noch mehr Eschels auf Sylt, Amrum und Föhr gibt. Eine prachtvolle Figur neben diesem geistigen Dammbauer ist übrigens auch der wirkliche Baumeister Bremer, der das "Werk des Satans" durch alle Fährnisse hindurchleitet.



Kritik zum Roman Dammbau von Margarete Boie



Hans Johlers selbstreflektierende Gedanken eingetragen in sein Buchexemplar von 1941. 1927 hatten Kirchenvorstand und Kirchenvorgesetzte ihn zum Rückzug aus Amt und Gemeinde gedrängt.

"Das Böse ist immer agressiv gegen mich und sein Anblick verletzt mein Empfinden. Aber mein Verletztsein überwinde ich, um zu heilen in der Freiheit von mir selbst. Doch wo man den Lügen glaubt, die mich anschwärzen, glaubt ohne zu prüfen, da triumphiert eben so lange die vorübergehende Finsternis. Und so lange wir noch einen Kraftaufwand brauchen, um eine Beleidigung zu überwinden, sind wir noch nicht recht lebendig und ganz gesund. Sei leidensfest und bleib unbeirrt durch Trübsal irgendwo in der Heimat im Aufbau! "Der Damm steht!"








Warum befürwortete Romanfigur Peter Boy Eschels den Dammbau?
Antworten darauf finden sich im Roman von Margarete Boie z.B. auf S. 69f, als sie Pastor Eschels im Gespräch mit Baumeister Bremer sagen lässt:...aber die Morsumer schätzen das Geld nicht nur höher als Behagen und weichliche Bequemlichkeit, sondern höher auch als nützliche Erkenntnisse. Bildung -Bildung- äh wat, gebildet sind sie soweit man unter Bildung die Einheit versteht von Denken, Fühlen und Handeln, die Einheit des Seins. Aber diese Morsumer Bildung liegt unterhalb der Ebene, die ihren Fähigkeiten und Anlagen entsprechen würde. Ich möchte sie herausschütteln aus ihrer faulen Beschränktheit!Der Mensch soll sich nicht beschränken, er soll sich reckenund wachsen. Das wird den Morsumern erst kommen, wenn ihnen das Festland in die Hacken tritt.... Wir haben Verstand, wir haben Wille und Entschlusskraft, aber das alles schläft seit den Tagen der großen Sefahrt. Sie nehmen heute noch den Viehdünger von den Weiden und brennen ihn als Feuerung - sie sind nicht dumm, sie sind auch nicht eigensinnig, es sind tatsächliche innere Hemmungen, verursacht durch die tausendjährige insulare Abgeschlossenenheit. Und deshalb will ich den Damm, solange ich noch hier lebe und fähig bin, den Morsumern auch einen geistigen Damm nach Deutschland hinüberzubauen. Ich will ihn, obgleich er ein Werk des Teufels ist und Morsum daran zugrunde gehen wird.

Margarete Boie lässt Pastor Eschels im Gespräch mit Gemeindevorsteher Meinert folgendes sagen (S. 91f): Ich weiß wohl, dass der festländische Landwirt keine Ruhe mehr kennt. Dass seine Freiheit, seine Unabhängigkeit dahin, und er nicht mehr sein eigener Herr ist. Was Deutschland an Landwirtschaft hat, wird von den Riesenernten Australiens und Kanadas erdrückt. Hat der Bauer eine gute Ernte - der Grußhandel die Neuyorker Börse halten die Preise niedrig, so dass er keinen Vorteil davon hat. Und eine schlechte Ernte bringt ihn in Schulden. Bisher war der Sylter Bauer von dieser Sklaverei noch frei. Der Badebetrieb und die Westdörfer brauchten all seine Produkte und mehr als das, und die schlechte Verbindung mit dem Festland, mit den Handelszentren bewahrte ihn vor der Gleichmacherei, die von Übersee her diktiert wird. Auf Meinerts Einwand, wenn die Sylter Dörfer sich einig wären - entgegnet Peter Boi Eschels: So würde auch dies uns Morsumern nichts nützen. Die Westdörfer würden uns immer überstimmen. Müssten es auch, denn wenn dieser Damm nicht gebaut wird und diese Verbindung über Dänemark beibleibt, und beibleibt, dass alle Gäste, die auf die Insel kommmen, vorher in Hoyerschleuse eingesperrt werden, dann muss der Besuch bald abflauen. Die Badeorte sind abhängig vom Damm, die Sylter Landwirtschaft abhängig von den Badeorten. So sehe ich die Sache.

Pastor Eschels schildert seine Gedanken zum Dammbau gegenüber dem Propst folgendermaßen (S. 238f): Die Erschütterung der jahrundertealten Sylter Eigenkultur ist durch die Verbindung mit dem Festland unvermeidlich. Die einzige Möglichkeit ihres Fortbestehens liegt darin, daß die Insulaner vorher sich selbst ihrer bewußt werden. Daß sie selbst ihren Eigenwert erkennen. Sie sollen lernen, sie sollen wissen, was sie selbst wert sind! ...Das aber ist rein durch Selbstbetrachtung und Selbstgenügsamkeit niemals möglich. Willst du dich selber erkennen, sieh, wie die anderen es treiben! Die anderen: die Festländer, die Herren vom Bau, die Arbeiter. An ihnen soll der Sylter sich selbst messen lernen. Das Neue ist nicht mehr aufzuhalten. Der Damm kommt, ob der Morsumer ihn will oder nicht.


Im Gespräch mit Rasmus Claasen argumentiert Pastor Eschels so (S. 281f): Was die abgeschlossene Entwicklung Griechenlands und Roms meinem historischen Sinn, das ist das nunmehr vollendete Lebensbild Sylts meinem lebendigen Gefühl- (Rasmus Claasen:) Das vollendete - so sagst du selbst damit: Sylt ist tot! (Pastor Eschels:) Und sage dennoch: Es lebe Sylt!...Kann doch ein jeder Baum mehr als einmal in seinem Leben grünen, und wenn er im Winter auch noch so tot aussah. Freilich hat,s keinen Zweck, die alten Blätter künstlich festhalten zu wollen. Und wenn ihr Euer Sylter Friesisch heute noch pflegt, müßt ihr dessen eingedenk sein, daß es euch nur noch mit der Vergangenheit, nicht aber der Zukunft mehr verbindet - dein Junge hat recht: es reicht über die Insel nicht hinaus. Heute aber gilt,s für euch, aus deutscher Kraft zu leben; auf deutschem Stamm neue Frucht zu treiben! Geh in den Lesesaal. Sieh dir den alten Globus an, den Gondel dafür schenkte. Wie klein ist Europa! Wie winzig Deutschland! Sylt ist ein Pünktchen. Morsum ein Nichts. Das Kleine und Besondere aber geht immer mehr im Größeren und Allgemeinen auf - (Rasmus Claasen:) - oder unter!




Hans Johlers Tochter Karin Lauritzen geb. Johler ca. 1982 nach erneutem Lesen des Buches Dammbau von Margarete Boie:
Der "Sylter Roman der Gegenwart" dürfte inzwischen ja der Vergangenheit angehören und doch ist er heute interessanter denn je zuvor. All die Fragen, die in den zwanziger Jahren aufgeworfen wurden, sieht der Leser nun schon beantwortet. Man mag zu dem alten Sylt stehen, wie man will - sicher ist manches Kulturgut schon in Vergessenheit geraten, dieser Brauch und jene Sitte, aber ich glaube, es ist nicht einer mehr da, der wirklich die Zeit zurückdrehen möchte, wenn er auch vielleicht noch von alten Zeiten schwärmt. Zuviel an Erleichterungen, an Fortschritt, an finanziellem Wohlstand und Anschluss an die übrige Welt machen das Leben so viel bunter und angenehmer. Aber der große Umbruch damals, das unbekannte Neue ließ die Sylter so hart und unduldsam werden, daß sie keinen Platz für Toleranz in ihren Herzen hatten. Obwohl er gehen musste, hatte wohl niemand mehr verzeihendes Verständnis als Pastor Boy Eschels (Pastor Hans Johler) selber.


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